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Praktikum in Estland (Tallinn)

Hallo, ich bin Auszubildende zur medizinisch-technischen Assistenz für Funktionsdiagnostik und werde über mein 6-wöchiges Praktikum in Tallinn berichten. Ich habe ein Praktikum in der neurologischen Klinik des East Tallinn Central Hospital gemacht. Ich war während der ganzen sechs Wochen in der diagnostischen Abteilung der neurologischen Klinik tätig.

Tallinn

Tallinn ist mit 430 000 Einwohnern die größte Stadt Estlands und auch die Hauptstadt. Tallinn ist eine alte Hansestadt mit einer sehr gut erhaltenen Altstadt. Die Häuser wurden von reichen Händlern, Geschäftsmännern oder Handwerkern gebaut. Zur Altstadt gehört außerdem der bekannte Domberg, wo der Adel und der Klerus wohnten. Die Altstadt lädt immer wieder zum flanieren ein und ein Haus ist schöner als das andere. Als dann noch die Dächer immer wieder von frischem weißem Schnee bedeckt waren und das Sonnenlicht reflektierten, fühlte man sich, wie in einem Wintermärchen.

In der Altstadt findet man neben Restaurants, Cafés und Souvenir-Shops keine Geschäfte. Diese sind nur in der Neustadt anzufinden. Vor allem lieben Esten Shopping Malls, davon gibt es überall in Estland und Tallinn viele.

Überall findet man in Tallinn schöne Leucht-Installationen. Man fühlt sich fast, als wäre den ganzen Winter über Weihnachten.

Während meines Aufenthaltes in Tallinn habe ich ein Zimmer zur Untermiete im Stadtteil Kalamaja bewohnt. Die Wohnung gehört einer 60-Jähringen Estin, die über das Internetportal „AirBnB“ zwei Zimmer vermietet. Kalamaja ist ein zentrumsnaher Stadtteil Tallinns, der ursprünglich ein Fischerdorf war. Typisch für Kalamaja sind die traditionellen Holzhäuser in oft bunten Farben und mit sehr schön verzierten Eingangstüren.

Öffentliche Verkehrsmittel sind in Estland generell sehr günstig und zuverlässig. Die Innenstadt ist jedoch ziemlich kompakt, sodass man viele Wege zu Fuß erledigen kann.

Tätigkeiten im Praktikum

Von Montag bis Freitag habe ich jeweils von 8:00 bis 16:00 Uhr entweder Neurografien der peripheren Nerven durchgeführt, Elektroencephalogramme ausgewertet oder bei Elektromyografien assistiert und diese ausgewertet.

Anhand von Neurografien kann man die Leitfähigkeit peripherer Nerven prüfen. Viele von den Patienten, die ich untersucht habe, hatten das Karpaltunnelsyndrom (eine Schädigung der Nerven im Handgelenk, z. B. durch zu viel Tippen am Computer).

Die meisten Patienten, die ein EEG bekommen haben, sollte abgeklärt werden, ob sie Epilepsie haben. Ich habe aber auch Patienten auf der Intensivstation gesehen, bei denen die Funktion des Gehirns unter Anästhesie geprüft werden sollte.

Bei den EMGs stellt man elektrische Potenziale in peripheren Muskeln da. Dabei wird eine Nadel in den Muskel gestoche, welche die Potenziale ableitet. Diese Untersuchung ist wichtig, um zu entscheiden, ob der Muskel oder der Nerv geschädigt ist.

Da, anders als in Deutschland, immer ein Arzt dabei anwesend war, habe ich viele neue Sachen über neurologische Krankheiten gelernt.

Schwierig war nur der Kontakt zu alten Patienten, die kein Englisch konnten. Ich habe zwar ein paar Wörter Estnisch gelernt, aber die waren nicht ausreichend, um alles zu verstehen. Vor allem, wenn Patienten dann nur Russisch sprachen, beschränkte sich unsere Kommunikation auf Zeichensprache. Ich hatte aber immer einen Kollegen um mich rum, die übersetzen konnten.

Freizeit und Ausflüge

In meiner Freizeit habe ich unter der Woche viel mit anderen internationalen Praktikanten und Studenten unternommen, die ich über verschiedene Wege kennengelernt habe. Diesen Leuten in Tallinn zu begegnen ist einerseits deswegen schon einfach, da es in der Stadt sehr viele internationale Studenten gibt und da es eine Hochschulgemeinde gibt, die sehr viele verschiedene Veranstaltungen für internationale Studenten plant.

Außerdem habe ich in einem der vielen guten Fitnessstudios in Tallinn Sport gemacht.

An den Wochenenden habe ich immer viele Sachen in Tallinn, Estland oder sogar in den benachbarten Ländern Lettland und Finnland unternommen. Mit dem Bus bin ich beispielsweise in den Laheemaa-Nationalpark, ein berühmter estnischer Nationalpark gefahren und bin dort einen Holzbohlenpfad durch das Viru-Moor gewandert. Außerdem habe ich die Steilküste der Pakri-Halbinsel und zwei der größten Wasserfälle Estlands besucht. Mit dem Bus bin ich außerdem für wenig Geld in das 350 km entfernte Riga (Lettland) gefahren. Ein Highlight war auch meine Schiffsreise nach Helsinki (Finnland), die gerade einmal zwei Stunden gedauert hat.

Estland

Estland ist der nördlichste Staat des Baltikums. Estland ist flächenmäßig viel kleiner als Deutschland und hat gerade einmal 1,3 Mio. Einwohner.

Die Winter in Estland sind kälter als in Deutschland und vor allem schneereich. Der Monat Februar soll eigentlich einer der kältesten Wintermonate sein, in diesem Jahr war der Februar jedoch ungewöhnlich warm. An vielen Tagen schien die Sonne und hat trotz Temperaturen bei um die Null Grad das Gefühl von Frühling ausgelöst.

Die Natur in Estland ist von Mooren, Feldern und Birken- oder Kieferwäldern durchzogen. Sogar 50 % der gesamten Fläche Estland sind von Wald bedeckt.

Interessant an Estland ist, dass es in der Geschichte immer wieder besetzt wurde. Im Mittelalter von Schweden, Dänen oder Deutschen und in der Neuzeit von Russen, Nazis und dann von den Sowjets. Estland war 1918 das erste Mal unabhängig und nach der sowjetischen Besatzung ist es erst wieder seit 1991 unabhängig! Anhand dieser Geschichte lassen sich die Architektur und die gesellschaftliche Zusammensetzung erklären. In der Altstadt sieht man immer wieder Fassaden mit deutscher Aufschrift, in der Neustadt findet man viele Gebäude im sowjetischen Baustil und mit sowjetischen Symbolen.

Ein Viertel der estnischen Abstammung ist russischer Abstammung. Dieser Teil identifiziert sich mehr mit Russland als mit Estland. Viele benutzen untereinander nur die russische Sprache und verzichten gar darauf, überhaupt estnisch zu sprechen. Viele Nachnamen entstammen aus dem Skandinavischen, dem Deutschen oder aus dem Russischen.

Heutzutage ist Estland bekannt für den IT-Sektor. Man sagt, dass Skype in Estland entwickelt wurde (ich habe nicht geprüft, ob das stimmt). Generell funktioniert vieles viel digitaler als in Deutschland: Online-Steuererklärung, Online-Wahlen, überall mögliche Kartenzahlung, etc.!

Außerdem hat Estland viele international bekannte Architekten. Die Esten mögen alles, was mit modernen, nachhaltigen Designs zu tun hat. So ist auch die moderne Architektur: viele natürliche Materialen wie Holz, Glas und Stein, die energieeffizient eingesetzt werden. Momentan geht es dem Land wirtschaftlich, weshalb viel gebaut wird. Vor allem werden auch alte leerstehende Farbiken o.ä. aus sowjetischen Zeiten modernisiert und umgebaut. Die skandinavische Architektur dient als Vorbild.

Die estnische Sprache ist mit ihren 14 Fällen ziemlich kompliziert. Viele denken, Estnisch wäre eien slawische Sprache. Sie gehört jedoch zum finnisch-ugrischen Sprachstamm und klingt wie Finnisch.

Menschen

Ich habe erfahren, dass Esten weniger reden als deutsche. Am Anfang meines Aufenthaltes empfand ich diese Art sehr kühl, reserviert und fast unsympathisch. Doch ich erfuhr schnell, dass Esten das, was sie nicht mit Worten ausdrücken, umso mehr mit Gesten ausdrücken. Im Krankenhaus war es so, dass man manchmal vielleicht von manchen Kollegen nicht wirklich begrüßt wurde, man dann aber plötzlich Pralinen und Kaffee angeboten bekommt und einem extra ein Stuhl her geholt wird. Diese Art wirkte auf mich sehr ehrlich, angenehm und herzlich und wirkte allgemein entschleunigend und wertschätzend. Ich nehme davon auf jeden Fall mit, dass ich manchmal abwägen sollte, ob ich meine Energie lieber in nette Gesten anstatt in zu viele Worte stecken sollte.

Esten sind außerdem sehr fleißig und machen sich wenig Stress, was zu einem tollen Arbeitsklima geführt hat!

Überrascht hat mich der kulturelle Mix aus russisch und estnisch. Ich hätte nicht erwartet, dass die 25% Russen manchmal ausschließlich Russisch sprechen. Viele Esten können Russisch sprechen, um besser im Alltag zurechtzukommen. Generell lernen Esten sehr viele Sprachen, da sie wissen, dass Estnisch eine nicht weit verbreitete Sprache ist.

Die Menschen sind generell sehr international orientiert. Viele Menschen gehen ins Ausland, um dort zu studieren oder berufliche Erfahrungen zu sammeln. Und natürlich, um ihre Fremdsprachenkenntnisse zu verbessern.